- Wirtschaftsnobelpreis 1969: Ragnar Frisch — Jan Tinbergen
- Wirtschaftsnobelpreis 1969: Ragnar Frisch — Jan TinbergenDer Norweger und der Niederländer erhielten den Nobelpreis für Entwicklung und Anwendung dynamischer Modelle zur Analyse von Wirtschaftsprozessen.BiografienRagnar Frisch, * Oslo 3. 3. 1895, ✝ Oslo 31. 1. 1973; 1931-65 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oslo, 1930 Gastprofessor in Yale, 1933 an der Sorbonne Paris, 1931 Mitbegründer der Ökonometrischen Gesellschaft.Jan Tinbergen, * Den Haag 12. 4. 1903, ✝ Den Haag 9. 6. 1994; 1929-36 und 1938-45 am niederländischen Zentralamt für Statistik in Den Haag, 1936-38 Wirtschaftsforschung beim Völkerbund in Genf, seit 1945 Leitung des Zentralen Büros für Wirtschaftsplanung in Den Haag, 1933-73 Professor an der Universität Rotterdam, 1973-75 an der Universität Leiden; 1931 Mitbegründer der Ökonometrischen Gesellschaft.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie beiden Volkswirtschaftler Ragnar Frisch und Jan Tinbergen waren die Ersten, die 1969 mit dem neu geschaffenen »Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften« geehrt wurden. Zum Andenken an Alfred Nobel und anlässlich des 300-jährigen Bestehens der schwedischen Reichsbank, stiftete diese den mit 375 000 schwedischen Kronen dotierten Preis. Die ersten Preisträger hatten dynamische Analysemodelle entwickelt, die es erlauben, theoretische Wirtschaftsabläufe mithilfe der Wirtschaftsstatistik zu überprüfen, das heißt, Konjunkturprognosen zu erstellen, Defizite in öffentlichen Haushalten oder Wechselkursentwicklungen vorauszusagen. Damit wurde eine Grundlage zur Steuerung von Wirtschaftsabläufen und der praktischen Anwendung der wirtschaftlichen Planung zur Erhöhung des Wohlstands erstellt.Modelle sind notwendigModelle dienen in erster Linie dazu, die tatsächliche Entwicklung zu erklären, um anschließend mit deren Hilfe das aktuelle Geschehen in die gewünschte Richtung zu lenken. Selbstverständlich ist die Voraussetzung dafür, dass zuerst die Struktur eines Problems untersucht werden sollte, bevor man es zu lösen versucht.Modelle sind für eine gut abgestimmte wirtschaftliche Planung eines Landes unverzichtbar. Sie bilden den Rahmen — Erfahrung, Verständnis und Detailkenntnis auf verschiedenen Gebieten füllen diesen dann aus.Mathematische ÖkonomieZu Beginn der 1930er-Jahre entwickelte Frisch, zu dieser Zeit an der Universität Oslo, eine Reihe von mathematisch spezifizierten dynamischen Modellen, das heißt, Modelle mit Einbeziehung sich gegenseitig beeinflussender Faktoren. Der Großteil seiner Forschungen war darauf gerichtet, theoretische Wirtschaftsabläufe empirisch, also auf Erfahrungen basierend, in messbaren Größen darzustellen und somit eine statistische Hypothesenprüfung zu ermöglichen.1931 gründete Frisch zusammen mit anderen bekannten Ökonomen dieser Zeit, zum Beispiel den Amerikanern Irving Fisher und Charles Frederick Roos, die Ökonometrische Gesellschaft (Econometric Society). Diese Gründung beruhte auf der Idee, einen internationalen Zirkel zu schaffen, der den Gedankenaustausch zwischen mathematischen Ökonomen erleichtern und die verschiedenen Bestrebungen einzelner Ökonomen in verschiedenen Ländern koordinieren sollte. Denn die Unterbringung von rein mathematisch gehaltenen Artikeln war in den damaligen volkswirtschaftlichen Fachzeitschriften nicht in dem erwünschten Umfang möglich. Der Erfolg der Gesellschaft stellte sich schon bald sowohl publizistisch als auch in der Anzahl der Mitglieder ein.Im Lauf seiner Karriere wurde Frisch Mitglied einiger wissenschaftlicher Gesellschaften in verschiedenen Ländern und erhielt zahlreiche Ehrendoktortitel. Auf den Antonio-Feltrelli-Preis, der ihm 1961 von der Accademia Nazionale dei Lincei verliehen wurde, war er besonders stolz — nicht zuletzt weil er so gleichsam im Erbe Galileo Galileis stand, der eines der ersten Mitglieder dieser altehrwürdigen italienischen Gesellschaft gewesen war.Wirtschaftskreisläufe der USAWie sein Preisträgerkollege Frisch gehörte auch Tinbergen zu den Gründervätern der Ökonometrischen Gesellschaft. Mitte der 1930er-Jahre war er als Berater für den Völkerbund in Genf tätig. In dieser Zeit schrieb er das zweiteilige Werk »Statistical Testing of Business-Cycle Theories« (englisch; Statistische Methoden und theoretische Wirtschaftsmodelle). Im ersten Band entwickelte er eine Methode zur Berechnung von Inflationsverhalten. Mit dem zweiten Band machte er sich weit über die Grenzen seines Landes hinaus einen Namen. Darin untersuchte er die Wirtschaftskreisläufe in den Vereinigten Staaten zwischen 1919 und 1932 und entwickelte damit das erste ökonometrische Modell der USA. Es konnte sowohl für kurzfristige Prognosen als auch für die Analyse und Planung wirtschaftlicher Maßnahmen verwendet werden. Tinbergen fasste die Wirtschaftsbewegungen der USA in eine Vielzahl von Gleichungen und zeigte damit auf, dass regelmäßige Bewegungen im amerikanischen Wirtschaftskreislauf existieren. Bereits Anfang der 1930er-Jahre hatte Tinbergen ein einfaches makroökonomisches Modell für die Niederlande entwickelt. Dies wurde als Basis für die Wirtschaftspolitik verwendet und diente als Grundlage für das weitaus umfassendere Modell der USA.Bewertung der ModellkonstruktionenDie von Frisch und Tinbergen entwickelten Modellkonstruktionen im Bereich langfristiger Wachstums- und Planungsprobleme sind gerade in Entwicklungsländern von Bedeutung. Tinbergen vertrat die Meinung, dass man die weltweite Arbeitslosigkeit durch den Verzicht der Industrieländer auf einen Teil ihrer Industriekapazitäten und durch eine Spezialisierung der Dritten Welt auf bestimmten Gebieten erfolgreich bekämpfen könne. Bis heute gilt es jedoch als sehr schwierig, wirtschaftliche Entwicklung zu planen, denn soziale Variablen wie Bildung, menschliches Verhalten oder die Einkommensverteilung spielen in wirtschaftlichen Modellen eine große Rolle. Will man der Wirklichkeit gerecht werden, benötigt man eine Vielzahl von Informationen, um eine zufriedenstellende Annäherung der wirtschaftlichen Planung an die tatsächlichen Verhältnisse zu erreichen.Als erster Vorsitzender des Komitees der UNO für Entwicklungspläne und als Berater in vielen Ländern der Dritten Welt sprach sich Tinbergen immer wieder gegen die weltweite Ungerechtigkeit im Verhältnis der armen zu den reichen Staaten und für die Verminderung der Wachstumsraten in den Industrieländern zugunsten eines schnelleren Wachstums in den Entwicklungsländern aus.G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.